Skulpturen, die von Künstlerinnen für den öffentlichen Raum in Berlin geschaffen wurden, sind seltener zu sehen als die von Künstlern.
Auch die Darstellung des weiblichen Körpers in einer Skulptur wurde mehrheitlich von Bildhauern ausgeführt.
Dieses Ungleichgewicht existierte auch in der DDR, obwohl dort die Gleichstellung von Mann und Frau politisch gefördert wurde. In der DDR bekamen prozentual mehr Künstlerinnen Aufträge für Kunst-am-Bau-Projekte und Skulpturen im Stadtraum als in der BRD, aber aufgrund hierarchischer Strukturen blieben sie trotzdem in einer Minderheit. Allgemein erhielten honorierte Aufträge für Kunst-am-Bau-Projekte, Skulpturen und Ausstellungen in der DDR nur Künstlerinnen, die eine Mitgliedschaft im Verein Bildender Künstlervorweisen konnten. (1) Im Jahre 1988 waren im Verein Bildender Künstler von insgesamt vierhundert bildhauerisch Arbeitenden nur einhundert Künstlerinnen – dies zeigt deutlich einen Gender-Gap. (2) Viele der Bildhauerinnen der DDR sind im Kunst- und Kulturgeschehen nach der Wende aus dem Blick geraten. Dabei haben figurative Skulpturen aus der DDR, die heute noch in vielen Parkanlagen und auf Wiesen zwischen Wohnsiedlungen zu finden sind, eine diskursive Aktualität.
Trotz stilisierter Skulptur-Figuren wie »Mutter mit Kind«, »Trümmerfrau«, »spielende Mädchen« und zahlreiche weibliche Akte wird im Stadtbild die Sicht- und Unsichtbarkeit des Weiblichen – als historisch relevante Figur, als künstlerische Urheberin und Gestalterin von Stadt – deutlich. Es lohnt sich, sich diese skulpturalen Frauenfiguren bei Spaziergängen zum Beispiel in Pankow näher anzusehen. Einige von Bildhauerinnen der DDR geformte Skulpturen weichen mitunter von der sozialistisch-realistischen Formensprache ab und gestalten im vorgegeben Formenkatalog individuelle Plastiken für den urbanen Raum.
Das »Liegende Paar« (1981) von Sabina Grzimek (3) im Prater Garten an der Kastanienallee ist ein Beispiel dafür. Ein halb liegender Mann ist neben einer liegenden Frau auf einem niedrigen Betonsockel platziert. Die beiden Figuren berühren sich dabei kaum und scheinen über dem Boden zu schweben. Die Beine des Paares ragen in die Luft, ebenso verlaufen die langen Haare der Frau senkrecht zum Boden und verstärken den schwebenden Eindruck. Die aufgeraute Oberfläche der Skulpturen verstärkt den fluiden Charakter. Diese Details geben dem filigranen Figurenensemble, neben dem zudem ein Brunnengefäß von der Künstlerin platziert wurde, eine surrealistisch traumhafte Atmosphäre.
Assoziationen wie Quelle und Ursprung, Natur und Mensch, Liebe und Fruchtbarkeit sind intendiert, werden aber durch die Leerstellen zwischen den Figuren und dem kelchartigen Brunnenobjekt offen gehalten. Eine andere, frühere Skulptur von Sabina Grzimek, »Stehendes Paar« von 1968 an der Gubitzstraße Ecke Ostseestraße, wirkt durch die zurückhaltende Gestik der Figuren, ihre kleinen Köpfe und ihr Nebeneinanderstehen (ohne sich zu berühren) ebenso seltsam entrückt. Die Bildhauerin Birgit Horota-Müller (4) ist weniger bekannt als ihr Mann Stephan Horota, dessen zahlreiche Tierskulpturen in Parkanlagen stehen. Neben Grafiken und Lithografien von Tieren gestaltete Birgit Horota-Müller eine zehn Meter lange Bronzetafel mit dem Titel »Aus der Geschichte des Bezirks Prenzlauer Berg von Berlin« (1971). Diese ist an der Parkmauer des Einganges zum Volkspark Prenzlauer Berg befestigt und schildert die Geschichte des Prenzlauer Berges. In Reliefen stellt die Künstlerin Szenen aus dem Kaiserreich, der Gründerzeit, dem nationalsozialistischen Deutschland sowie einen sowjetischen Soldaten dar und integriert in diese historische Chronologie Künstlerinnen des Prenzlauer Berges: Käthe Kollwitz, Heinrich Zille und der Architekt Hermann Henselmann sind bei ihren künstlerischen Tätigkeiten zu sehen; Eine sehenswerte Ostberliner Chronologie der Stadt.
In dem Bürgerpark Pankow befindet sich das Ensemble »Der Dichter und das Mädchen« (1999) der Bildhauerin Sabine Teubner-Mbaye (5). Fichten umsäumen die zweiteilige Skulptur und generieren eine pastorale Beschaulichkeit im Stadtpark. Die lebensgroßen Skulpturen wurden dabei zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgestellt: Die liegende Figur »Der Dichter« im Jahre 1989 und das stehende und kraftvoll wirkende »Mädchen« nach der Wende im Jahre 1997. Dies mag ein Grund sein, warum die Figuren trotz eines klassischen BildhauerSujets individuell und solitär wirken. Eine Frauenfigur aus Sandstein mit abstrahierten Körperformen (2002) der Künstlerin ist gut sichtbar an der Straßenecke Florastraße und Görschstraße platziert, und eine halbrunde Bank lädt dort zum Verweilen ein. Der Titel »Bruch ist ganz« lässt viele Deutungen zu.
Eine spannende Geschichte ist mit der Skulpturengruppe »Drei Frauen« der Bildhauerin und Zeichnerin Carin Kreuzberg (6) verknüpft. Ursprünglich war es eine Auftragsarbeit (1979) für den Vorplatz des ›VEB ElektrokeramikWerkes‹ in der Florastraße. Die Idee, drei Frauen für den Platz zu gestalten, kam der Künstlerin, nachdem sie bei einer Führung die vielen Arbeiterinnen in der Werkhalle gesehen hatte. Kreuzberg schuf daraufhin ein Gipsmodell mit drei verschiedenen Frauentypen: Eine mutig Voranschreitende, eine Zögerliche und eine in sich versunkene Träumende. (7) Der Betriebsmeister lehnte Kreuzbergs feministische Sicht auf die Arbeitssituation ab und der Künstlerin wurde der Auftrag entzogen. Durch den Kunstfonds der DDR konnte Kreuzberg jedoch ihre »Drei Frauen« 1981 in Bronze gießen lassen. Da es im Bezirk Pankow kaum noch Platz für Skulpturen gab, lagerten die drei Frauenfiguren bis 1993 im Grünflächenamt Pankow. 1993 wurden sie vom Grünflächenamt auf einer Grünfläche am Elizabethweg Ecke Ossietzkystraße (jetziger Standort) unweit des Schlossparks platziert. Jede Figur steht dabei auf einer eigenen, flachen Plinthe. Kurz nach der Aufstellung der Skulpturengruppe verdrehten Unbekannte die Frauenfigur ›Voranschreitende‹ und rückten sie damit an die beiden anderen heran. Dadurch entstand eine bis heute andauernde kreisförmige Anordnung der Frauenfiguren und das Motiv der voranschreitenden, mutigen Frau wurde zum Verschwinden gebracht. Die Frage, wann Carin Kreuzbergs Skulpturengruppe »Drei Frauen« so zu sehen sein, wie die Künstlerin es konzipierte, ist auch eine feministischpolitische Frage zur Kunst im öffentlichen Raum.
1 Der Verband Bildender Künstler (VBK) wurde 1950 als Berufsorganisation der Bildenden Künstler gegründet. »Die Mitgliedschaft eröffnete den Zugang zum staatlichen Kunsthandel. Die Vergabe öffentlicher Aufträgen erfolgte nur an im Verband organiserte Künstler. Zum Zeitpunkt seiner Auflösung 1990 hatte der VBK ca. 6.000 Mitglieder.«, www.bildatlas-ddr-kunst.de/glossary/72, abgerufen am 20.11.2022. 2 Angelika Richter, »Das Gesetz der Szene. Genderkritik, Performance Art und zweite Öffentlichkeit in der späten DDR«, zitiert aus Fußnote 21, Bielefeld 2019, S. 42. 3 Sabina Grzimek (1942 geb. in Rom), in Berlin stehen u.a. die Skulptur »Mutter mit Kind« (1976-1981), die der Widerstandskämpferin Liselotte Herrmann 1909-1938 gewidmet ist, und der »Junge aus der Marienburgerstraße« (1968-1970). 4 Birgit Horota-Müller (1936 Frankfurt (Oder) – 2021 Berlin), deutsche Bildhauerin und Grafikerin. Eine Tierskulptur »Bär« (1966) steht auf dem Humanplatz an der Stahlheimerstraße. 5 Sabine Teubner-Mbaye (1953 geb.), lebt in Berlin, bildhauerische und installative Arbeiten und Grafiken, www.sabine-teubner-mbaye.de. 6 Carin Kreuzberg (1935 in Berlin geb.), lebt in Berlin, zahlreiche Skulpturen im öffentlichen Raum u.a. »Sitzendes Liebespaar«, (1976), Breite Straße; »Stehender Junge« (1985), Fröbelstraße; »Heinrich-Heine-Denkmal« (1990), Heinrich-Heine-Straße; »Denkmal für E.T.A. Hoffmann« (1978-1979), ursprünglicher Standort Gendarmenmarkt, heute Innenhof der Staatsbibliothek Berlin. 7 Alle Angaben zu der Skulpturengruppe »Drei Frauen« stammen aus einem Interview mit Carin Kreuzberg und der Autorin vom 21.11.2022. Der Dokumentarfilm »Drei Frauen. Kreuzberg in Pankow« (2021) von Annika Lewandowski stellt Carin Kreuzberg als Künstlerin vor und schildert zudem die Geschichte der Skulpturengruppe »Drei Frauen«. Der Film erhielt 2022 den ersten Preis des Film Festivals »Woman over 50«.
Dr. phil. in art. Birgit Szepanski ist Künstlerin, Autorin und Dozentin und lebt in Berlin. Nach ihrem Kunststudium an der Kunstakademie Münster und dem Masterstudium ›Kunst im Kontext‹ an der Universität der Künste Berlin promovierte sie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg zum Thema »Erzählte Stadt« (veröffentlicht im transcript Verlag). Birgit Szepanski hält Gastvorlesungen und Vorträge zu ihren Forschungsthemen Erzählen in der bildenden Kunst und Stadtwahrnehmung. Ihre künstlerischen Arbeiten, die sich mit Erinnern und Erzählen im dem urbanen Raum auseinandersetzen, zeigt sieregelmäßig in Ausstellungen. www.birgitszepanski.de
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