Ich besitze ein Buch, das ich nur wegen seines Klappentextes kaufte: „Wenn zwei Künstler miteinander reden, dann sprechen sie über Geld. Wenn zwei Banker miteinander reden, dann sprechen sie über Kunst.“ (1) So ist es, so war es und so wird es immer sein!? Nun, aus meiner heutigen Sicht würde ich sagen: Jein – denn schließlich schreibe ich ja diesen Text, den Sie jetzt lesen. Eine Bewegung ist also drin, wir reden drüber – und das nicht nur hinter vorgehaltener Hand, sondern laut und deutlich (2): SO leben Künstler:innen in Deutschland! 1/3 von ihnen (2019 > 123.000) (3) von 1100 € netto im Monat! 3/4 der Renter:innen von < 1000€/Monat !(4)
Der arme Poet ist nicht chic, sondern ein Armutszeugnis! Künstler:innen sind meist überdurchschnittlich hoch gebildet (ca. 60% besitzen einen Hochschulabschluss), studieren aber mit dem Wissen, dass sie voraussichtlich nicht von ihrem Beruf leben werden können. Also was tun mit den Fähigkeiten und Fertigkeiten, die man im Kunststudium erlernt? Wer Glück hat, kann diese für die handvoll erfolgreicher Kolleg:innen einsetzen, die zum einstelligen Prozentwert der Player des Kunstmarkts gehören und eigene große Studios à la Andy Warhols Factory besitzen. Aber auch diese Stellen gibt es nicht wie Sand am Meer – viele Künstler:innen trifft man daher, wenn sie nicht „aufstockende Hartzer:innen“ sind, im Bereich der Lehre oder in Stellen, die ihnen ein gewisses Maß an Absicherung und gleichzeitig Freiheit gewähren, um selbst weiter künstlerisch tätig zu sein.
Die Entscheidung, die künstlerische Selbstständigkeit zu behalten, wird einem nicht leicht gemacht: Will man bspw. in der KSK bleiben und auch den Anspruch auf ein gefördertes Atelier des BBK nicht verlieren (5), muss man Einkommensgrenzen nach unten und oben beachten. (6) Nun braucht man aber ein gewisses Budget, um neue Arbeiten zu schaffen, mit denen man sich auf Förderungen und Ausstellungen bewirbt, damit diese dort gezeigt und bestenfalls verkauft werden können, damit man in der KSK bleiben kann! Eine Krux und ein ständiges Austarieren zwischen Wollen, Sollen und Müssen also in einem Finanzkreislauf, der sich in jeden künstlerischen Arbeitsbereich auszudehnen scheint. Und geradedeshalbtrotzdem machen Künstler:innen vieles, wenn nicht alles, selber – der Begriff „eierlegende Wollmilchsau“ wurde quasi von uns erfunden (was bei der Visualisierung dessen auch klar werden dürfte). Aber zurück zum Mythos, den Künstler:innen mit isländischen Feen gemein haben – nur dass es erstere wirklich gibt, aber sie sich eher mit Hausschwund rumschlagen – im Gegensatz zu den isländischen Feen, denen extra Hüttchen gebaut werden:
Ich glaube, im Laufe dieses Textes ist bereits klar geworden, warum auch die Autoren des anfangs genannten Buches nur ein Pamphlet über Kunst und Geld schreiben konnten: Wenn die eigene prekäre Arbeits- und Lebensrealität zu einer Sparte gehört, die sich als Blase unabhängig und gefühlt antiproportional zur restlichen Weltwirtschaft entwickelt, dann braucht man viel Humor und etwas Biss(igkeit). Ja, Künstler:innen arbeiten viel und hart, unterbezahlt und anders als andere und ja, einige Künstler:innen profitieren vom bezahlbaren Können und der Flexibilität der Kolleg:innen. Das ist kein Mythos. Der Mythos, den es hier aufzulösen gilt, ist eher ein Ethos, eine Gewohnheit, die sich über Jahrhunderte eingeschlichen hat und manifestiert hat: Die „eierlegende Wollmilchsau“ Kunst will biologisch nachhaltig gehalten werden, bevor sie alt und wund wird! So.
Und nun nochmal zur Lebensrealität von jemandem, die solche Texte schreibt – meiner: Als ich mit diesem hier begann, hatte ich gerade meine Studierenden (Kunsthochschule Professionalisierungsbereich) in den Feierabend entlassen – wie immer schnapsfertig geplättet von der harten Realität des Kunstmarkts, der auf sie wartet und um den es in meinem Kurs geht.
Diese letzten Sätze schreibe ich gerade im Zug zurück von einem eintägigen Aufenthalt bei Stuttgart, den ich aufgrund eines neuen Projekts meines anderen Brotjobchefs, seines Zeichens einer der Top 10 Künstler global, unternommen habe. (7) Seit Frankfurt sitzt neben mir ein müder Banker. Ich habe seit gestern 12h gearbeitet, 6h geschlafen und bin 10h Zug gefahren – 4 mehr to go. Seit 30 min stehen wir – Weichenstörung. Es ist 18:21. Aber: Morgen tue ich was für mich: Ich hab Aufsicht in der Ausstellung, in der ich gerade ausstelle. Vielleicht kommt jemand, der über Geld reden will – mal sehen.
(1) Metz, Markus und Georg Seeßlen: Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld: Ein Pamphlet, 2. Auflage, Berlin 2015.
(2) und auch dank einiger toller und reger Organisationen wie bspw. den BBK-Verbänden
(3) Erhebung Statistisches Bundesamt
(4) BBK (Hg.): Von der Kunst zu leben, Berlin 2020, S. 54.
(5) Auch hier ein hart umkämpfter Markt bspw. in Berlin: 900 geförderte Ateliers, aber ca. 13513 / 19700 (Zahlen von KSK, 2020/Destatis, 2019) Bildene Künstler:innen KSK, 2020/Destatis, 2019) Bildene Künstler:innen
(6) KSK: min. 3900 €/Jahr aus selbstständiger künstlerischer Tätigkeit, max. 450 €/Monat Zuverdienst durch nichtkünstlerische Arbeit
BBK: jede Person im Haushalt wird mitgerechnet – bspw. Paar (auch unverheiratet o. WG) max. 45.890 €/Jahr (höhere Mietpreisgruppe B)
(7) Seit 2017 arbeite ich selbstständig und projektbasiert für ihn, Bereich Development & Production, d.h., ich baue in einer der Werkstätten einen Teil seiner künstlerischen Arbeiten. Viel Handwerk – Metall, Glas, Holz – aber auch Packen und Reparatur. Wieso ich da arbeite? Nun ja, neben dem schnöden Mammon und der Flexibilität hauptsächlich wegen der Kolleg:innen und des familiären Arbeitsklimas (- nicht zu vergessen das hervorragende Essen). Sonst ist die Arbeit wie Schwimmen: verlernt man nicht, obwohl es nicht viel mit der sonstigen Fortbewegung zu tun hat.
Franziska Harnisch (*1986, Berlin) lebt und arbeitet gern als Künstlerin. Ihre künstlerische Praxis umfasst die Bereiche und Schnittstellen der künstlerischen Forschung im Bereich Digitale Medien und Performance, aber auch kuratorischer Techniken wie der des Open Calls. Seit 2009 wurden ihre Arbeiten in einer Vielzahl von Kunstvereinen, Projekträumen und dem öffentlichen Raum gezeigt. Harnisch erhielt unter anderem den EUCIDA Travel Award, ein Stipendium des Künstlerdorfs Schöppingen sowie ein Stipendium Q21 Artist in Residence bei paraflows. Sie betrieb mehrere Projekträume (KUNSTRAUM 53, Vitrine 01) und leitet seit 2020 den raum on demand in der Alten Münze Berlin. Harnisch ist Mitglied im BBK Berlin, im medienkunst e.V., beim Netzwerk freier Berliner Projekträume und -initiativen sowie bei der VG Bild-Kunst.
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